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KULTURELLE ORIENTIERUNG
UND NORMATIVE BINDUNG
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Methodisierung und Normativität
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Prof. Dr. Alfred Langewand


Thema

Dass die Wissenschaften uns in unserer Lebensnot und -welt nichts mehr zu sagen hätten, ist, in seinem Spätwerk, eine der Husserlschen Enttäuschungen, die ihr Gewicht dadurch erhält, dass er die Leistungen und die Leistungsfähigkeit ihrer Unternehmungen keineswegs geringschätzt. Die Enttäuschung über die Wissenschaft lebt ganz von ihrer vormaligen Versicherung, sie sei gerade auch dies: lebensdienlich. Husserls Diagnose zu dieser Spreizung von unendlicher Erkenntnisarbeit und endlicher Unzuständigkeit, von überzufälliger Wissensakkumulation bei gleichzeitigem unzufälligem Orientierungsschwund liegt in dem Befund der Methodisierung. Damit ist einmal, in einem deskriptiven Sinne, die sachlich verbindliche Erkenntnistätigkeit durch identische Untersuchungsmethoden gemeint, die ihrerseits diese Tätigkeit zeitlich zu entgrenzen vermögen und sozial die Zustimmung zur Verzufälligung der Erkenntnis Leistenden durch diese selbst garantieren. Mit Methodisierung ist aber auch in einem kritischen Sinne auf die Diagnose der Verwechselung von wissenschaftlichen Verfahrensweisen und wissenschaftlichem Objekt abgezielt: Wir nähmen, so Husserl, für Sein, was eine Methode sei. Die Remedur für diese Amphibolie erkennt Husserl in der transzendentalen Phänomenologie und dem Rückgang auf die Lebenswelt. In den Wissenschaften selbst ist diese Amphibolie jedoch Programm: Es gilt die strikte These, das Objekt sei das und nur das, als was es sich forschungsmethodisch (re)konstruiert zeige; hierin liegt der Nominalismus der modernen Wissenschaft begründet. Da aber diese Identität von Methode und Sache stets von einem Vorbegriff der Sache selbst lebt, die es zu untersuchen gilt, ist die Amphibolie zugleich Programm und Problem: Ob der forschungsmethodisch gerüstete Gegenstand identisch ist mit dem gemeinten lebensweltlichen Gegenstand, bedarf einer zusätzlichen Prüfung, und diese und also die Remedur dieses Problems führt zur Validierung. Sie ist die externe Kontrolle der fraglichen beabsichtigten Identität von Methode und Sein (Husserl) im Forschungsprozess, und daher ist es szientistisch gesehen nicht, phänomenologisch gesehen sehr wohl paradox, dass es für die externe Validierung der problematischen Identität interne forschungsmethodische Verfahren gibt, die zu durchlaufen sind – bei stets durchgehaltenem Fallibilismus. 
Diese szientistische Selbstprogrammierung ist dauerproblematisch, auch im Sinne einer unabschließbaren Anstrengung, die immer wieder unternommen wird um immer wieder zu scheitern. Spätestens seit der Einsicht nicht bloß in die Geschichte der Wissenschaften, sondern in ihre Geschichtlichkeit, also in ihre historisch kontextualisierbaren Anstrengungen, wird deutlich, dass in ihre gegenstandsbezogenen Vorbegriffe normative Implikationen und Voraussetzungen eingehen, die wir in unserer Lebenswelt selbstverständlich miteinander teilen, die aber deshalb szientifisch als solche nicht reflektiert werden. In diesem unausweichlichen Spalt der ebenso unvermeidlichen Validierungsvorschrift bleibt die Husserlsche Amphibolie eine Herausforderung.  


Methodischer/systematischer Hintergrund

In diesem Sinne ist auf systematische Weise zu fragen, ob und ggf. welche normativen Vorannahmen und Vorbegriffe in die forschungsmethodische Konstruktion des Gegenstandes eingehen, ohne von ihr absorbiert werden zu können. Welche lebensweltlichen Voraussetzungen oder Implikationen gehen in den methodischen Aufbau der einzelwissenschaftlichen Begriffe und Theorien ein, die zwar nicht die Geltung, aber den Sinn der Geltung szientifischer Aussagen bedingen?
Dieser Sinn der Geltung soll hier Bildungskategorie genannt werden. Sie umfasst die normativen Orientierungen der Lebenswelt (auch) im Umgang mit wissenschaftlichem Wissen und sie ist (auch) als Bedingung oder Implikation des wissenschaftlichen Wissens zu verstehen. Solche Kategorien sind, ihrer Doppelbezüglichkeit gemäß, in der Regel binär verfasst, und einige von ihnen haben in Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsphilosophie im letzten Jahrhundert eine prominente Stellung erlangt, so etwa Körper/Leib.    
Das Projekt gliedert sich in einen historischen und einen systematischen Teil. Im ersten wird die pädagogisch-philosophische Reflexionsgeschichte des Geltungssinns analysiert. Hier kommen phänomenologische Arbeiten von Husserl (Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, 1913; Krisis der europäischen Wissenschaften, 1936) und Scheler (Die Wissensformen und die Gesellschaft, 1926) in Frage, neukantianische von Hönigswald, im weiteren Sinne geisteswissenschaftliche von Litt (Mensch und Welt, 1948; Der Mensch vor der Geschichte, 1950), F. Fischer (Darstellung der Bildungskategorien im System der Wissenschaften, 1975) und Derbolav (Frage und Anspruch, 1970) und ebenso naturalistische von Habermas (Erkenntnis und Interesse, 1968) u.a. Im zweiten Teil werden exemplarische Analysen an unterschiedlichen einzeldisziplinären Gegenstandskonstitutionen durchgeführt, nach Möglichkeit sowohl aus dem geisteswissenschaftlichen als auch dem natur- und sozialwissenschaftlichen Bereich und mit Blick auf die angewandte Ethik.


Ziele

Historiographisch ist das Ziel der Untersuchung eine Rekapitulation eines eher schmalen Forschungsfeldes des 20. Jahrhunderts zwischen Pädagogik, Wissenschaftstheorie und Philosophie. Dabei sollen die paganen (insbes. Platon) und christlichen Vorläufer nicht unbeachtet bleiben, denn, übersetzt man paideia mit Bildung, liegen sowohl bei Platon (Idee des Guten) als auch bei christlichen Autoren (Erlösung) den Bildungskategorien zumindest ähnliche Überlegungen vor, freilich ohne moderne Wissenschaft.            
Systematisch ist das Ziel der Untersuchung ein Beitrag zur Bildungstheorie, sofern man diese nicht reformpädagogisch oder klassizistisch verkürzt. Was man als Bildungssinn eines wissenschaftlich erschlossenen Gegenstandsbereichs verstehen kann, ist keine dogmatische Normierung sondern die Ermöglichung einer orientierten Stellungnahme; dies schließt alternative Deutungen nicht aus, sondern ein. Applikationshermeneutisch ist das Ziel der Untersuchung die Wiedergewinnung einer bildungstheoretischen Reflexion der Inhalte und der normativen Orientierungen zwischen Lebenswelt, Bildung und Wissenschaft.  


Literatur
  • A. Langewand, Moralerziehung/Tugendbildung, in: Historisches Wörterbuch der Pädagogik, hrsg. v. D. Benner, J.Oelkers, Weinheim 2. Aufl. 2010, Sp.660 – 687.
  • A. Langewand, Wie ist X möglich, wenn für X „Erziehung“ eingesetzt wird? In: Philosophie – Pädagogik – Wissenschaft. Neuere Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Pädagogische Rundschau 62 (2008) S. 25-39.
  • A. Langewand, Gibt es einen modernen Bildungsbegriff? Ein Blick in die Zukunft aus historischer Perspektive, in: Abhandlungen der Humboldt-Gesellschaft für Wissenschaft, Kunst und Bildung, Bd. 27 (2011), S.121-135.






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